Bayerischer Verfassungsschutzbericht 2012: Unfähig zu ernsthaftem Umdenken
15. April 2013
Seit vielen Monaten bringen die NSU-Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene Tag für Tag, Woche für Woche neue Erkenntnisse über das Ausmaß der Inkompetenz, Schlampigkeit und Sehschwäche deutscher Verfassungsschutzämter – auch des bayerischen – in Bezug auf die Beobachtung neofaschistischer und rechtsterroristischer Milieus ans Tageslicht.Strategische Konzepte, die in diesem Bereich entwickelt wurden, waren schlicht unbekannt. So z. B. das Konzept des „führerlosen Widerstands“ mit selbständigem Agieren in kleinen Gruppen bei der Durchführung rassistischer Terroranschläge. Obwohl in einschlägigen Dokumenten der Blood&Honour-Bewegung ausdrücklich der Verzicht auf Bekennerschreiben empfohlen wurde, gaben sich die bayerischen Ermittler ahnungslos: Ohne Bekennerschreiben gab es für sie keinen nazistischen Hintergrund.
Dreizehn Jahre lang konnte daher der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) unbehelligt morden und rauben, während die Opfer diffamiert und verdächtigt wurden, in ein angebliches „kriminelles Ausländermilieu“ verwickelt zu sein. „Wie hätten wir darauf kommen sollen?“ fragte der Leitende Oberstaatsanwalt Walter Kimmel, der für die Ermittlungen zu den NSU-Morden in Nürnberg und München verantwortlich war, vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags. Was für eine Bankrott-Erklärung!
Von all dem will der bayerische Innenminister nichts wissen. Sein soeben erschienener Verfassungsschutz-bericht 2012 macht erschreckend deutlich, wie unfähig Minister und Verfassungsschützer zu ernsthaftem Umdenken sind. Hauptaussage: Wir haben im Prinzip alles richtig gemacht, kleinere Defizite können durch Stärkung unseres Überwachungsapparates behoben werden.
Der Gipfel der Selbstgerechtigkeit ist erreicht, wenn es im Kapitel „Rechtsextremismus“ heißt: „Rechtsterroristische Taten können – insbesondere wenn sie von Einzelpersonen oder Kleinstgruppen begangen werden – zu keiner Zeit ausgeschlossen werden. Dies haben in jüngerer Zeit insbesondere die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds sowie auch die Breivik-Attentate in Norwegen im Jahr 2011 verdeutlicht.“ Der Vergleich der NSU-Mordserie, deren Charakter über 13 Jahre nicht erkannt wurde, mit dem einmaligen Amoklauf des norwegischen Massenmörders Breivik ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Im Klartext bedeutet er: Wir konnten nichts dafür und werden derartige rassistisch motivierte Morde auch in Zukunft nicht verhindern können. Die verhängnisvolle Einzeltätertheorie wird bekräftigt, die Existenz organisierter rechtsterroristischer Strukturen wird weiterhin geleugnet, die Hintermänner bleiben unbehelligt.
Die Tatsache, dass auch im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2012 antifaschistische Organisationen, darunter die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, nach wie vor als verfassungsfeindlich diffamiert und dadurch in ihrer Tätigkeit behindert werden, ist die andere Seite derselben Medaille. Wir werden, wie in den Vorjahren, dagegen Klage einreichen.