80 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus ebnet Friedrich Merz den neuen Nazis den Weg. FDP und BSW machen mit.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde 1947 von überlebenden Widerstandskämpfer:innen und Verfolgten des Naziregimes gegründet. Die letzten, die von ihnen heute noch leben, ihre Angehörigen und alle, die ihnen zugehört haben, erinnern sich mit Schrecken an die Zeit nach dem 30. Januar 1933:
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler einer Koalitionsregierung mit der Deutschnationalen Volkspartei weiteren nationalkonservativen bis völkisch orientierten Parteien wie Stahlhelm und Rechtskatholiken ernannt.
Am 27. Februar brannte der Reichstag, einen Tag später wurden mit der „Reichstagsbrandverordnung“ sämtliche in der Weimarer Verfassung garantierten Grundrechte außer Kraft gesetzt und in der Folge tausende politischer Gegner:innen verhaftet. Am 22. März werden die ersten Häftlinge in das KZ Dachau gebracht.
Am 27. März beschloss der Reichstag mit dem „Ermächtigungsgesetz“ mit den Stimmen aller Parteien außer der SPD und der inzwischen bereits illegalisierten KPD seine Selbstauflösung.
Am 17. Juli 1933 waren alle Parteien außer der NSDAP verboten, die Organisationen der Arbeiterbewegung zerschlagen, Tausende geflohen, Zehntausende verhaftet. Der Weg zu Vernichtungskrieg und Völkermord war geebnet.
Die Deutsche Zentrumspartei, in deren politischer Nachfolge die CDU steht, hat durch eine zunehmend rechtsnationalistische Positionierung und Unterstützung der Politik v. Papens und Brünings in den letzten Jahren der Weimarer Republik wesentlich zum Aufstieg der NSDAP beigetragen. Vor weniger als einem Jahr der 75. „Geburtstag“ des Grundgesetzes gefeiert wurde, wurde auch daran erinnert, dass es als Gegenentwurf zum Nazi-Staat die Grundlage für eine Demokratie sein sollte, die nie wieder Faschismus ermöglicht.
Am „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ am 27. Januar – also vor drei Tagen – fand Friedrich Merz noch angemessene Worte. Allerdings hatte er da schon angekündigt, seine „Fünf Punkte für sichere Grenzen und einen Stopp der illegalen Migration“ auf Grundlage einer imaginierten „außergewöhnlichen Notsituation“ mit den Stimmen der Höcke-AfD im Bundestag verabschieden zu lassen. Einen Tag vor dem 30. Januar war es soweit.
Nicht nur mit Zurückweisungen an den deutschen Grenzen verlassen CDU/CSU den Boden des Grundgesetzes, tatsächlich verstoßen viele ihrer Forderungen eindeutig ebenso gegen europäisches oder internationales Recht. Das schert Merz so wenig wie die absehbare Folge, dass der gemeinsam erzielte „Erfolg“ nicht die CDU, sondern die im Kern faschistische AfD stärken wird.
Dass auch FDP und BSW sich an diesem massiven Schritt zum Abbruch der vielbeschwore-nen „Brandmauer“ beteiligen, zeigt wie wenig ihnen die Demokratie bedeutet. Selbst wenn – wie im Vorfeld der Abstimmung veröffentlichte Umfragen nahelegen – eine Mehrheit der Wähler:innen diesen Bruch mit Menschenrecht und Grundgesetz wünscht: Demokratie basiert auf dem Respekt vor Menschen und Menschenrecht, auf Solidarität und nicht auf Ressentiment und Ausgrenzung.
Es ist höchste Zeit: Alle gemeinsam gegen den Faschismus und Kollaboration – alle gemeinsam auf die Straße! AfD-Verbot – jetzt!
Unter diesem Motto ruft ver.di München für den 12. Oktober zur Demonstration. Auch wir wehren uns dagegegen, dass die Milliarden zur Aufrüstung ausgespielte werden gegen die berechtigten Interessen sozial Benachteiligter, Bedürftiger und Schutzsuchender. Wir rufen daher zur Beteiligung an der Demonstration auf.
12.10.2024, 14:00 – 18:00 Uhr, Odeonsplatz München
Soziales rauf! – Rüstung runter! Für Solidarität – gegen rechts
Anlässlich des internationalen Nazi-Aufmarschs »Tag der Ehre« in Budapest wurden im Februar 2023 mehrere Personen aus dem Kreis der extremen Rechten angegriffen und z. T. schwer verletzt. Dafür macht die ungarische Regierung im Wesentlichen einige deutsche, österreichische und italienische Antifaschist:innen verantwortlich.
Erste Prozesse mit gefesselten Angeklagten und exorbitanten Urteilen haben stattgefunden.
Mehrere deutsche Beschuldigte haben sich der Bundesanwaltschaft entzogen, die bisher entschlossen ist, den Auslieferungsgesuchen aus Ungarn nachzukommen.
Die Eltern der gesuchten Antifaschist:innen haben Anfang des Jahres eine Kampagne gegen die Auslieferung gestartet: Ihre Töchter und Söhne sind bereit, sich einem Verfahren in Deutschland zu stellen, wenn die Bundesanwaltschaft zusichert, sie nicht nach Ungarn auszuliefern, wo weder ein faires Verfahren noch menschenrechts-konforme Haftbedingungen zu erwarten sind. Darauf haben weder die Bundesanwaltschaft noch die Politik bisher reagiert.
Bereits seit Dezember saß Maja T. in der JVA Dresden; das Berliner Kammergericht billigte am 27.6. eine Auslieferung nach Ungarn. Die Betroffene wurde vom LKA Sachsen noch in der Nacht aus der Zelle geholt und gegen 10 Uhr an der österreichisch/ungarischen Grenze übergeben. Eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgericht gegen die Auslieferung kam zu spät, oder wurde missachtet.
Auch Hanna S., die im Mai in Nürnberg festgenommen wurde, droht ebenfalls die Auslieferung nach Ungarn.
Die VVN-BdA unterstützt die Kampagne und die Forderung:
#NoExtradition – Keine Auslieferung von Antifaschist:innen nach Ungarn!
17:00 Uhr Carmen Eckhardt „Viktors Kopf – eine Spurensuche“,
Film und Filmgespräch
6. Juni 2024
9:00 Uhr Einlass und Anmeldung
10:00 Uhr Begrüßung: Karl Freller: Grußwort des Direktors der Stiftung Bayerische Gedenkstätten; Heidi Delbeck: Thematische Einführung
10:30 Uhr Thorsten Fehlberg: Nachgeboren – Nachkommen von NS-Verfolgten als Akteur:innen
11:15 Uhr Podiumsdiskussion: Nachkommen stellen ihre persönlichen und gesellschaftspolitischen Beiträge vor. Moderation: Dr. Sibylle von Tiedemann
12:00 Uhr Mittagessen
13:00 Uhr Fortsetzung der Podiumsdiskussion
13:30 Uhr Dr. Edith Raim: Kontinuitäten in der Justiz der Nachkriegsgesellschaft
14:15 Uhr Dr. Helmut Wetzel: Wann ist Geschichte vorbei? Vermächtnisse und brisante Gefühlserbschaften der Zweiten Generation
15:00 Uhr Kaffeepause
15:30 Uhr Nora Hespers: Persönliche Aufarbeitung und mediale Vermittlung in den Folgegenerationen
16:15 Uhr Gesprächsrunde: „Rolle und Aufgabe der nachfolgenden Generationen“, Moderation: Dr. Sibylle von Tiedemann
17:00 Uhr Ende der Veranstaltung
REFERENTINNEN UND REFERENTEN
Thorsten Fehlberg: Politikwissenschaftler und Dipl.-Sozialgeograf, 2013 bis 2019 beim Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V., 2020 bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Promotion zu politisch engagierten Nachkomm:innen von NS-Verfolgten an der Universität zu Köln – gefördert vom Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES), assoziierter Wissenschaftler am Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) Leipzig
Nora Hespers: Freie Journalistin, Bloggerin und Podcasterin, Köln Autorin des Buches „Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich“
Dr. habil. Edith Raim: Historikerin, Neuere und Neueste Geschichte, Lehrbeauftragte Uni Augsburg
Dr. Helmut Wetzel: Kinder- und Jugendpsychotherapeut, Familientherapeut, Supervisor Uni Freiburg
Einlassvorbehalt: Die Veranstalterinnen behalten sich gemäß Art. 10 BayVersG vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Organisationen angehören, der extrem rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder sie von dieser auszuschließen.
Am letzten Wochenende nahmen wieder Nazis aus ganz Europa an den Aktivitäten zum „Tag der Ehre“ in Budapest teil.
Die Fédération Internationale de Résistants und mehrere Mitgliedsverbände organisierten wieder eine Protestveranstaltung.
Zugleich kritisierten die Verbände den Umgang der ungarischen Justiz mit jungen Menschen, die beschuldigt werden im vergangenen Jahr militant gegen Nazis vorgegangen zu sein und fordern, diese nicht nach Ungarn auszuliefern, sondern ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren in ihren Herkunftsländern zu garantieren.
Gegen SS-Verherrlichung und politische Justiz
Auch in diesem Jahr wollen sich wieder Neonazis aus mehreren Ländern Europas, darunter deutsche Gruppen, in Budapest treffen, um SS-Einheiten zu ehren und deutscher und ungarischer Truppen zu gedenken, die bei der Befreiung der Stadt im Februar 1945 durch sowjetische Einheiten eingekesselt und aufgerieben worden waren. Die ungarischen Antifaschisten schlossen sich den sowjetischen Truppen bei der Befreiung Budapests an.
In der nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre dieser Aktionen erinnert MEASZ, der Verband der ungarischen Widerstandskämpfer und Antifaschisten, Jahr für Jahr an die Befreiung Budapests vom Faschismus und protestiert gegen die Naziprovokationen, die mit Billigung der ungarischen Regierung stattfinden.
Am kommenden Wochenende wird MEASZ dabei von der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) und mehreren Mitgliedsverbänden aus Deutschland, Österreich und der Slowakei unterstützt, die an den öffentlichen Gedenk- und Protestveranstaltung teilnehmen werden. Der Exekutivausschuss der FIR wird eine Erklärung an den ungarischen Präsidenten richten, in der ein Verbot der SS-Verherrlichung gefordert wird.
Mit welchen Methoden die ungarischen Behörden versuchen, Proteste gegen die Nazitreffen zu diffamieren, zeigt ein politischer Skandal, der in den letzten Wochen in Europa mediale Beachtung fand. Im Vorfeld der politischen Proteste gegen das letztjährige Nazitreffen kam es in Budapest zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und einigen ihrer politischen Gegner. Die Prügelei hatte mit den organisierten Protesten nichts zu tun, wurde aber von den ungarischen Medien zum Anlass genommen, Antifaschismus pauschal zu diffamieren. Die ungarische Regierung übernahm das Narrativ, es habe sich um eine „internationale linksterroristische Aktion“ gehandelt. Zwei Personen wurden verhaftet und sitzen seit knapp einem Jahr in Ungarn in Untersuchungshaft. Die ungarische Justiz versucht auf diese Weise, eine Schlägerei als terroristische Aktion der „internationalen Antifa“ hochzuspielen. Innenpolitisch soll damit der gesellschaftliche Protest gegen die jährliche SS-Verherrlichung und deren Organisatoren diskreditiert und in eine terroristische Ecke gedrängt werden, außenpolitisch erscheint Ungarn als Opfer einer „internationalen Antifa“.
Anfang Februar wurde der Prozess gegen die beiden Verhafteten, einen Deutschen und eine Italienerin, nach elf Monaten Untersuchungshaft eröffnet. Die Haftbedingungen, nicht nur dieser Gefangenen, sind laut der Menschenrechtsgruppe „Ungarisches Helsinki-Komitee“ weit von menschenrechtlichen Standards entfernt. Ein rechtsstaatliches Verfahren ist nicht zu erwarten. Der zuständige italienische Staatsanwalt weigert sich deshalb, der Auslieferung eines zweiten italienischen Beschuldigten nach Ungarn zuzustimmen. In Deutschland prüft die Staatsanwaltschaft dagegen weiterhin die Auslieferung der deutschen Beschuldigten.
Wir fordern, den Beschuldigten ein rechtsstaatliches Verfahren in ihren Herkunftsländern zu garantieren, dass unter den beschriebenen Umständen in Ungarn nicht zu erwarten ist.
Unsere antifaschistischen Proteste gegen die Verherrlichung des Nazismus schützen die Demokratie in Europa!
Berlin, Budapest, Wien, 06.02.2024 gezeichnet Vilmos Hanti, MEASZ und FIR Conny Kerth, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Dr. Gerald Netzl, Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen (Österreich) Ernst Wolrab, Bundesverband österreichischer Widerstandskämpfer und Antifaschisten, Opfer des Faschismus (KZ Verband) Dr. Ulrich Schneider, FIR
Eine Erklärung des Bundessprecher*innenkreises der VVN-BdA
Die VVN-BdA erinnert an diesem 27. Januar nicht nur an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Jahre 1945, sondern auch an den 80. Jahrestag der Befreiung der Stadt Leningrad mit der Durchbrechung der Blockade durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1944.
In den Welteroberungsplänen des deutschen Faschismus nahm der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 einen besonderen Platz ein. Es ging um die Rohstoffreserven der UdSSR und die industriellen Kapazitäten im Westen der Sowjetunion. Im „Fall Barbarossa“ waren diese Ressourcen fest eingeplant, um einen Krieg gegen die UdSSR überhaupt führen zu können. Das nach Osten vorrückende Millionenheer sollte sich aus den Vorräten der örtlichen Bevölkerung versorgen und damit den dort lebenden Menschen, die als „slawische Untermenschen“ betrachtet wurden, die Lebensgrundlage nehmen. Zudem war es ein ideologisch motivierter Vernichtungskrieg gegen den „jüdisch-bolschewistischen“ Feind.
Ende August erreichten die faschistischen Heere Leningrad. Erobern konnten sie die Stadt nicht. Am 8. September 1941 wurde der Blockadering geschlossen. Damit war die Großstadt, in der damals rund drei Millionen Menschen lebten, im Süden durch deutsche Truppen und ihre Verbündeten, im Norden von finnischen Einheiten blockiert. Nur über den im Osten gelegenen Ladogasee konnten zeitweise und unter großen Gefahren Lebensmittel und andere Versorgungsgüter in die Stadt gebracht werden. Die Blockade von Leningrad und das Aushungern der Bewohner*innen war Teil der verbrecherischen Kriegsführung der Nazis in Osteuropa, die mit dem Begriff „Vernichtungskrieg“ treffend charakterisiert wird. Vor über zwanzig Jahren sprach der Jenaer Historiker Jörg Ganzenmüller von einem „Genozid durch bloßes Nichtstun“. Tatsächlich starben mehr als eine Million Menschen während der Belagerung an Hunger und Mangelernährung. Dennoch haben die Menschen in Leningrad knapp drei Jahre der faschistischen Bestie widerstanden und ein sichtbares Zeichen gesetzt, dass die „unbesiegbare“ Wehrmacht an ihre Grenzen stößt. Der Überlebenskampf der Einwohner*innen und der sowjetischen Armee, die im Winter die Versorgung der Menschen über die zugefrorene Ostsee organisierte und die im Januar 1944 den Blockade-Ring sprengen konnte, sind unvergessen.
Ein eigenes skandalöses Kapitel ist der Umgang mit den Opfern des faschistischen Vernichtungskrieges und ihren Angehörigen durch die Bundesrepublik Deutschland. Seit Jahrzehnten lehnt die Bundesregierung jegliche Zahlung individueller Entschädigungen an nichtjüdische Bürger*innen der damaligen Sowjetunion bzw. des heutigen Russlands grundsätzlich ab.
In einem offenen Brief an die Bundesregierung vom Herbst letzten Jahres beklagen die letzten Überlebenden der Blockade: „Mittlerweile sind wir weniger als Sechzigtausend, alles Menschen verschiedener Nationalitäten, die die Gräuel der belagerten Stadt überlebten.“ Sie verurteilen die Weigerung Berlins, eine für jüdische Überlebende zugesagte Entschädigung „auf alle heute noch lebenden Blockade-Opfer ohne Ansehen ihrer ethnischen Zugehörigkeit auszuweiten“. Schließlich hätten die deutschen Hungermordpläne „keine Ausnahmen aufgrund von Nationalität“ vorgesehen. „Wir appellieren an die deutsche Bundesregierung, die einzig richtige Entscheidung nicht hinauszuzögern und die humanitären Auszahlungen auf ausnahmslos alle Blockade-Überlebenden auszuweiten.“
Die VVN-BdA verbindet das Gedenken zum 27. Januar mit der Erinnerung an die Opfer der Blockade von Leningrad und unterstützt die berechtigten Forderungen der Überlebenden.
Ernst Grube, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V.
Rede am 12. November 23 beim Gedenken der DGB-Jugend in der Gedenkstätte des ehem. KZ Dachau
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Wir sind heute zusammengekommen, um uns mit dem Geschehen vor 85 Jahren zu befassen. Für mich, als Kind einer jüdischen Mutter und eines kommunistisch eingestellten nichtjüdischen Vaters, für meine Geschwister, unsere Familie, war der 7. November 1938 ein sehr tiefer Einschnitt in unser Leben. Zu diesem Zeitpunkt hatte es – auch in meiner kindlichen Wahrnehmung – bereits drastische Veränderungen gegeben. Die angrenzende Hauptsynagoge unmittelbar neben unserem Wohnhaus in der Herzog Max Straße war im Juni 1938 auf Befehl Hitlers und durch Beschluss des Stadtrates zerstört worden. Ich erinnere mich noch an die Abbrucharbeiten an der Synagoge. An Lastwagen, die den Bauschutt aufluden und wegfuhren. Erst später wurde mir bewusst, unter welchem Druck meine Eltern sich befunden haben mussten. Welche Bedrohung sie verspürten als ihr drittes Kind unterwegs war und geboren wurde. Am 8. Juli, als meine Schwester Ruth zur Welt kam, war der Abbruch der Synagoge schon beendet. Die Firma Leonhard Moll hatte 200000 Reichsmark damit verdient. Bei einem erneuten Auftrag der Stadt München nach 1945 hat die Firma Moll den Synagogenschutt zur Befestigung des Isarufers dorthin gekippt.
Die Gebäude der Jüdischen Gemeinde wurden „arisiert“, d.h. geraubt. Wie ich nach der Befreiung erfahren habe, war die IKG von der NS Stadtverwaltung gezwungen worden, diese Häuser zu einem Spottpreis zu verkaufen und allen Mietern zu kündigen. So auch meinen Eltern. Juden hatten zu dieser Zeit kein Rechte mehr. Sie konnten aus gemieteten Wohnungen vertrieben werden, ihre eigenen Wohnungen wurden ihnen geraubt. Unser nichtjüdischer Vater bemühte sich vergeblich um eine Ersatzwohnung. Als Ehemann einer Jüdin, lebte mein Vater im Jargon der Nazis in einer „Mischehe“. Zynisch wurde auch er zurückgewiesen: „Gehen Sie zu den Juden, für Sie sind wir nicht zuständig.“ sagte man ihm z.B. beim Wohnungsamt. Bald lebten nur noch wir in diesen drei ansonsten leeren Gebäuden. Es war kalt und dunkel geworden. Die Stadtverwaltung hatte uns Strom, Gas und Wasser gesperrt. Wo sollten die Eltern hin mit drei Kindern, gekündigt, mit Aussicht auf Zwangsräumung?
Nach vier Monaten fanden unsere Eltern mit Unterstützung der jüdischen Gemeinde eine Notlösung. Sie brachten uns am 7. November 1938 – zwei Tage vor dem Novemberpogrom – in das Kinderheim der Jüdischen Wohlfahrt in der Antonien Straße in Schwabing. Ich war knapp 6 Jahre alt, mein Bruder Werner war fast 9 Jahre und meine Schwester Ruth gerade mal 3 Monate alt, als unsere Familie durch Vertreibung und Entrechtung getrennt wurde.
Nach der ersten großen Deportationen nach Kaunas mit fast 1000 Menschen am 20.November 1941 und dem 2. großen Transport Anfang April 1942 nach Piaski nahe Lublin wurde auch das Jüdische Kinderheim arisiert. Wir noch übrig gebliebenen Kinder mussten in das Deportationslager Milbertshofen u. später nach Berg a. Laim. Anfang 1945 wurden wir Geschwister zusammen mit unserer Mutter in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Während die Behörden des NS Staates Krieg, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden, Sinti und Roma und ganzen Bevölkerungsgruppen planten und durchführten, wurden die Menschen, die dies und andere Verbrechen verhindern oder stoppen wollten und immer noch Widerstand leisteten, in Gefängnissen wie Stadelheim und KZs wie Dachau gefoltert und ermordet.
Um nur einige zu nennen: Georg Elser, Walter Klingenbeck, Mitglieder der Weißen Rose, die denunziert und von skrupellos gehorsamen Richtern zum Tod verurteilt wurden.
Die Warnung „Hitler bedeutet Krieg“ wurde nicht ernst und rechtzeitig aufgenommen, um massenhaften Widerstand zu organisieren.
Mit der Errichtung des Konzentrationslagers in Dachau am 20. März 1933 auf Befehl des Polizeipräsidenten Himmler, begann die umfassende Verfolgung der politischen Gegner°innen des NS-Regimes: Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter, politisch engagierte Juden und kritische Intellektuelle.
Für die Nazis war klar: Der neue Anlauf zu einem Eroberungskrieg kann nur erfolgreich sein, wenn auch im Landesinneren die Kräfte, die gegen Krieg, für demokratische Rechte und die Rechte der arbeitenden Bevölkerung eintreten, ausgelöscht und unwirksam sind. Sie wurden inhaftiert, gequält und ermordet, zur Abschreckung für alle.
Nach der Befreiung durch die Rote Armee aus dem Getto Theresienstadt und nach meiner Rückkehr nach München wusste ich noch wenig von der Funktion und den Schrecken des KZ Dachau.
In dieser Zeit lernte ich jedoch viele ehemalige Dachau Häftlinge kennen.
U.a. Otto Kohlhofer, Eugen Kessler, Hermann Langbein, Adi Maislinger, Anna Pröll. Auch Verfolgte wie Marie Luise Schulze-Jahn, die Verlobte des hingerichteten Hans Leipelt von der Weißen Rose. In den Gesprächen ging es immer um unsere Gegenwart und die Zukunft der Bundesrepublik. Wie groß war unsere Enttäuschung und das Entsetzen, als 1950 bekannt wurde, dass Bundeskanzler Adenauer mit den Verantwortlichen der deutschen Wehrmacht ein neues Militär aufbauen wollte. Diese faschistischen Generäle haben ihre Mitwirkung von einer Ehrenerklärung Adenauers abhängig gemacht, die sie auch bekamen.
Für mich war es unfassbar.
Dieser entsetzliche Vernichtungskrieg, den die Wehrmacht geführt hat, hatte die umfassende Verfolgung und Vernichtung von uns Juden erst möglich gemacht:
Die Deportation und Ermordung unserer Tanten und Onkel, meiner Cousins und Cousinen in die Ghettos und Vernichtungslagern der „Aktion Reinhard“, nach Izbica, nach Piaski, wo sie entweder an den Lebensbedingungen dort, in Erschießungsaktionen oder in den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Belzec ermordet wurden.
Die Verschleppung meines Onkels Siegfried Süss-Schülein, der nach seiner Deportation nach Riga drei Jahre lang über die KZs Jungfernhof in Lettland, Kaunas in Litauen, Stutthof, schließlich im Dachauer Außenlager Komplex Landsberg-Kaufering an der Sklavenarbeit für den Krieg zugrunde ging.
Unsere Deportation nach Theresienstadt.
Die Zerstörungen in den besetzten Ländern, die Ermordung von Millionen Menschen in den eroberten Gebieten, vor allem im Osten und Südosten Europas.
Breite Kreise der Bevölkerung waren kriegsmüde und wollten kein neues Militär. Wir wehrten uns gegen die Remilitarisierung: Mit der VVN, den Gewerkschaften, mit der KPD und FDJ, mit Friedensausschüssen kämpften wir für eine Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und setzten uns damit erneuter brutaler Verfolgung aus. Als aktive Antifaschisten setzten wir uns für eine Gesellschaft ein, in der nicht die Förderer und Profiteure von Faschismus und Krieg weiter bestimmenden Einfluss haben sollten. Als Kriegs- und Atomwaffengegner haben wir uns gegen den Aufbau und Ausbau eines neuen Militärs gewehrt, in dem die ehemaligen Generäle der faschistischen Wehrmacht das Sagen haben.
Doch die Adenauer Regierung setzte sich mit Macht und Gewalt durch.
Heute fordert Verteidigungsminister Pistorius „Kriegstüchtigkeit“! Die Menschen Europas „… müssen sich gewöhnen in Kriegsgefahr zu leben“
Deutschlands besondere Verantwortung aus seiner Geschichte mit zwei begonnenen Weltkriegen und dem Holocaust ist: Frieden stiften.
Das bedeutet: Deeskalation, keine Befeuerung von Kriegen und Konflikten durch Politik und Waffenlieferungen.
In Europa nimmt der Einfluss der extrem Rechten in und außerhalb von Parlamenten ständig zu. Sie nutzen die soziale Verarmung, die Angst vor Veränderung und Verlusten für ihre nationalistische Politik.
Aus unserer Geschichte wissen wir, dass Kriegsvorbereitungen, Aufrüstung, Abbau demokratischer und sozialer Rechte Hand in Hand gehen.
Wir erleben eine Zunahme faschistischer Gewalt, von Rassismus und Antisemitismus. Wir erleben, wie Unsummen für die Aufrüstung ausgegeben werden und Migrationsprobleme durch eine weitere Verstümmelung von Menschenrechten – auch mit der Einrichtung von Gefängnissen – gelöst werden sollen.
Wir gedenken heute – an diesem Ort – des 9. November 1938.
Mit diesem Pogrom, das den damals noch in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden die noch brutaleren Absichten zeigte, wurde das Tor zum 2. Weltkrieg geöffnet.
Die Probe des 9. November war erfolgreich! Der Volkszorn eines braunen Mobs ließ sich mobilisieren, die Mehrheit hielt still. Viele stimmten zu.
Wir gedenken heute der Menschen, die ab 1933 in die Hölle des Konzentrationslagers Dachau gebracht wurden.
Zum Gedenken gehört wissen und begreifen wollen, wie diese Verbrechen geschehen konnten, wer Hand angelegt hat, wer beteiligt war, wer Profit und Nutzen daraus zog – über das Kriegsende hinaus.
Gedenken beinhaltet auch erkennen wollen, warum diese Verbrechen nicht rechtzeitig verhindert wurden.
Fotos: Synagoge an der Herzog-Max-Straße (links), Beginn der Abbrucharbeiten (rechts), Juni 1938. Foto Mitte: Deportation Bahnhof-Milbertshofen
Quelle: Buch „Zur Geschichte der Münchner Synagogen“, 1999, Veröffentlichung des Stadtarchivs München.
VVN-BdA solidarisch mit den Opfern des antisemitischen Massakers
Warnung vor Gewaltspirale
Wir sind in tiefer Trauer über die vielen Toten der letzten Tage und die grauenhafte Gewalt, die diese Woche überschattet. 700 Frauen, Kinder und Männer wurden in ihren Wohnungen hingerichtet, entführt, vergewaltigt und durch die Straßen gezerrt. Wir verurteilen den Terror der islamistischen Hamas und den Antisemitismus, der sich in diesen Tagen – nicht nur im Nahen Osten – Bahn bricht. Wer die Gewalttaten der letzten Tage „feiert“, sich über den Tod hunderter Menschen freut und ihn als „Befreiung“ tituliert, stellt dadurch seine Menschenverachtung zur Schau. Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in Israel und in Gaza, die bei Bombenangriffen getötet und verletzt wurden. Unsere Anteilnahme gilt auch jenen, deren Angehörige und Freund*innen sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.
Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen.
Der vergangene Samstag war auch ein schwarzer Tag für alle, die sich im Nahen Osten für ein menschenwürdiges Leben für alle und gegen religiösen Fanatismus einsetzen. Die demokratische Zivilbewegung in Israel und ihr Protest gegen den Demokratieabbau im eigenen Land dürfte vorerst an ihr Ende gekommen sein.
Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Gaza dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.
anlässlich der Aushändigung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland am Freitag, dem 22. September 2023 an Herrn Ernst Grube, München
Sehr geehrter Herr Grube,
Sie und Ihre Familie mussten leidvoll erfahren, was Entrechtung, Entmenschlichung und Verfolgung unter der NS-Diktatur bedeuteten. Nach 1945 mussten Sie mit ansehen, wie viele alte Nationalsozialisten beim Wiederaufbau erneut in Amt und Würden kamen. Sie dagegen gehörten aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen wieder zu den Verfolgten und Marginalisierten. Doch trotz dieser bitteren Erfahrungen haben Sie nie klein beigegeben, nie stillgehalten. Stattdessen waren und sind Sie ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage und Engagement. Sie leben vor, was das „Nie wieder!“ als Herzstück unserer Erinnerungskultur bedeutet. Durch Ihre vorbildliche Lebensleistung haben Sie hohe und höchste Auszeichnungen verdient.
Als Kind einer jüdischen Mutter erlebten Sie schon früh Diskriminierung, Entrechtung, Deportation und Internierung im Konzentrationslager. Als Fünfjähriger wurden Sie Zeuge des Abrisses der Münchner Synagoge. Ihre verzweifelten Eltern brachten Sie und Ihre beiden Geschwister kurz vor dem Novemberpogrom 1938 ins jüdische Kinderheim in der Antonienstraße. Gemeinsam mit Ihrer Familie wurden Sie im Februar 1945 im Alter von 12 Jahren nach Theresienstadt deportiert.
Sie überlebten und kehrten nach München zurück. Hier mussten Sie erleben, wie viele alte Nationalsozialisten bei Wiederaufbau erneut in staatliche und gesellschaftliche Schlüsselpositionen gelangten. Das entsprach ganz und gar nicht dem, was Sie unter „Lehren aus dem Faschismus“ verstanden. Dagegen und gegen vieles andere, was Sie als ungerecht empfanden, sind Sie zeitlebens aufgestanden, auch wenn das für Sie persönlich erneut Ausgrenzung und Diskriminierung bedeutete. Politisches Engagement und insbesondere das Eintreten für eine gelebte Erinnerungskultur prägen Sie und Ihr Handeln bis heute.
Ihr Einsatz reicht von der Wahrnehmung des Amtes als Präsident der „Lagergemeinschaft Dachau e. V.“, dem Vorsitz im Kuratorium der Stiftung Bayerische Gedenkstätten über die Mitgliedschaft im lnitiativkreis für das NS- Dokumentationszentrum München, in dessen Politischem Beirat Sie seit 2005 tätig sind, bis hin zu jahrzehntelanger Arbeit als Zeitzeuge im bildungspolitischen Bereich. Egal ob bei zahllosen Gesprächen und Seminaren mit Schülerinnen und Schülern oder bei Lehrerfortbildungen – als Zeitzeuge vermitteln Sie aus eigener Erfahrung, was Diktatur und menschenverachtende Ideologie für den Einzelnen bedeuten. Gerade der Dialog mit den Jugendlichen liegt Ihnen am Herzen. Sie halten die jungen Menschen dazu an, allzeit aufmerksam gegenüber Angriffen auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu sein und sich ihnen aktiv entgegenzustellen. Sie machen so deutlich, dass die Demokratie nur durch die Handlungen jeder und jedes Einzelnen bewahrt und geschützt werden kann. Ihre bildungspolitische Arbeit geht somit über das Aufrechterhalten der Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes weit hinaus. Mit Ihrem Einsatz als Zeitzeuge geben Sie den Jugendlichen Handlungskonzepte an die Hand, die sie im alltäglichen Einsatz für Menschenrechte und Demokratie einsetzen können.
Für Ihr überaus großes Engagement sowie als Würdigung Ihres gesamten Lebenswerkes hat Ihnen Herr Bundespräsident das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ich fühle mich sehr geehrt, Ihnen diese hohe Auszeichnung aushändigen zu dürfen.
Unserem Kameraden Ernst Grube wurde von Staatsminister Prof. Dr. Michael Piazolo, der vom Bundespräsidenten verliehene Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, überreicht.
Mitteilung auf der Seite des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus >>