Gedenken an die Opfer der Neonazimordserie
2. Dezember 2011
Unter dem Motto „Gedenken an die Opfer der Neonazimordserie – Nazigewalt wirksam verhindern“ stand eine Kundgebung des überparteilichen Personenbündnisses „Freising ist bunt“. An der Mahnwache nahmen rund 70 Freisingerinnen und Freisinger, darunter mehrere Stadt- und Kreisräte verschiedener Parteien teil.
Der Landesgeschäftsführer der VVN-BdA Bayern, Dr. Guido Hoyer, führte in seiner Rede u. a. aus:
„Wir fragen uns: Wie konnte es möglich sein, dass Neonazis mitten unter uns jahrelang morden konnten, ohne dass auch nur ansatzweise ein Verdacht auf sie fiel. Massenmedien wie die BILD-Zeitung ordneten die Verbrechen mit dem Etikett „Döner-Morde“in die Schublade „Exotischer Grusel“ ein, die Ermittlungsbehörden ermittelten in Richtung eines kriminellen Hintergrundes der Opfer, einer Art türkischen Mafia. Das Naheliegende sah man nicht.
Ich sage bewusst das Naheliegende. Denn: So schrecklich diese Morde sind, es sind nicht die einzigen in Deutschland gewesen. Seit 1990 sind in unserem Land mindestens 182 Menschen von Neonazis umgebracht worden, nicht nur in den östlichen Bundesländern, auch in Bayern gab es neben den Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ acht weitere Mordopfer in Amberg, Bad Reichenhall, Kolbermoor, Memmingen und Plattling. Die meisten dieser Opfer werden von der Bundesregierung nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Man gibt zu, dass die Täter Neonazis waren, deshalb sei aber ein politischer Hintergrund nicht bewiesen. Seltsam nur, dass die Opfer – Ausländerinnen und Ausländer, Obdachlose (also im Nazi-Jargon „Asoziale“), alternative Jugendliche – in aller Regel zu den Personengruppen gehören, die zu den Feindbildern der Nazis gehören.
Mit dieser Verharmlosung rechter Gewalt muss endlich Schluss sein!
Der Verharmlosung dient meines Erachtens auch die Einzeltäter-Theorie, die schon fast reflexhaft als „erstes Ermittlungsergebnis“ der Öffentlichkeit präsentiert wird, um sich dann oft als unhaltbar zu erweisen. So auch jetzt: War am Anfang von Einzeltätern die Rede, in den Massenmedien vom „durchgeknallten Mörder-Trio“ oder ähnlich, stellt sich jetzt, wo noch lange nicht alles aufgeklärt ist, heraus, die Mörder sind Teil eines Netzwerkes, hatten Helfer und Unterstützer auch in der NPD. Der langjährige NPD-Funktionär Ralph Wohlleben war einer von ihnen. Nazigewalt wirksam verhindern- das heißt zuerst einmal, dass die Verbindungen der Mörder vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ zur NPD und allen Neonazi-Organisationen, auch des Aktionsbundes Freising, dessen Mitglieder z. T. aus Thüringen stammen und die bundesweit bei Naziaktionen auftreten, restlos durchleuchtet werden.
Lassen Sie mich einen Blick zurück werfen in das Jahr 1980. Ein Einzeltäter soll ja Gundolf Köhler gewesen sein, der mit seiner Bombe auf dem Münchner Oktoberfest 13 Menschen tötete. Die SPD und die Grünen im Landtag halten „die sogenannte Einzeltätertheorie, wonach das Attentat von … Köhler alleine geplant und ausgeführt worden ist, angesichts dessen Nähe zu neonazistischen Kreisen und vieler Indizien für nicht glaubhaft. Vielmehr gebe es nicht nur Hinweise, sondern deutliche Spuren, dass das Attentat von Rechtsextremisten geplant und vorbereitet worden ist.“ SPD und Grüne fordern die Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfest-Anschlag. Wir unterstützen diese Forderung nachdrücklich.
Mir kam der Amoklauf von Adam Labus wieder in den Sinn. Vor neun Jahren -2002- hatte er in Eching und Freising vier Menschen getötet. Ein psychisch kranker Jugendlicher rächte sich an Vorgesetzten und Lehrern, so wurde die Bluttat erklärt. Ich bestreite dies nicht. Trotzdem ist die Frage erlaubt, hatte Adam Labus gar nichts nicht der Naziszene zu tun? War nicht damals im SPIEGEL zu lesen, dass er schon mal einen Brief mit „Heil Hitler“ unterschrieb und meldete nicht eine Zeitung, dass auch personelle Kontakte zu Neonazis bekannt waren? Labus war mit zwei Armeepistolen, Handgranaten und Rohrbomben schwer bewaffnet. Ein „Waffennarr“ hieß es. Bis heute ist nicht ermittelt worden, woher dieses Waffenarsenal stammte.
Ein aktuelles Beispiel aus Oberfranken. Ende Oktober kam in Losau ein Mann beim Hantieren mit Sprengstoffen ums Leben. Polizeipräsidium Oberfranken, Staatsanwaltschaft Bayreuth und das Bayerische Landeskriminalamt kommentierten dies wie folgt: „Dieser Fall verdeutlicht erneut, welche Auswirkungen ein nachlässiger Umgang mit pyrotechnischen Gegenständen haben kann. Polizei und Staatsanwaltschaft warnen deshalb ausdrücklich vor den Gefahren beim Hantieren mit derartigen Gegenständen.“ So wurde die Öffentlichkeit informiert. Danach tauchte in Pressemeldungen auf, dass es sich bei dem Mann um einen Neonazi gehandelt hatte. Die Behörden sprachen nun in einer „Ergänzung“ zu ihrer Presserklärung von „einem nicht organisierten Sympathisanten der regionalen rechten Szene“ Aber man könne, so ein Polizeisprecher, „noch lange nicht von einem rechtsextremistischen Hintergrund reden.“ Nicht von den Behörden, aber von der Presse wurde mitgeteilt, dass man bereits drei Tage vor dem tödlichen Unfall bei dem Mann pyrotechnisches Material beschlagnahmt habe. Er wäre demnach der Polizei kein Unbekannter gewesen und hätte sich in drei Tagen bereits wieder Sprengstoff besorgt. Dies allerdings nicht überraschend, arbeitete er doch in einer Firma, die Waffen und Munition verkauft.
… Es ist ein Skandal, dass Organisationen, die unermüdlich von den Nazigefahren warnen und aufklären, A.I.D.A und VVN-BdA, sich vor Gericht dagegen wehren müssen, als angebliche „Extremisten“ mit Nazis in einen Topf geschmissen zu werden. Was für eine Dreistigkeit, der VVN im Verfassungsschutzbericht 2009 vorzuwerfen – ich zitiere wörtlich: „Öffentliche Zeitzeugenauftritte von früheren KZ-Häftlingen sollen der Organisation … einen demokratischen Anstrich verleihen.“ Gemeint damit sind z.B. Ernst und Werner Grube, Überlebende des KZ Theresienstadt, Martin Löwenberg, der aus dem KZ Flossenbürg befreit wurde und Hugo Höllenreiner, der die KZs Auschwitz-Birkenau und Mauthausen überlebte. Solche Menschen sind kein „demokratischer Anstrich“, sondern das demokratische Fundament unserer Gesellschaft.
… Nazigewalt wirksam verhindern heißt den braunen Sumpf austrocknen. Es gibt keinen friedlichen Faschismus, eine Ideologie, die Menschen in lebenswert oder lebensunwert einteilt, die Völkermord und die Vernichtung der politischen Gegner praktizierte ist Gewalt. Deswegen gilt weiterhin der Satz: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“ Der „Aktionsbund Freising“ hat den Pressebericht über die letzte „Freising-ist-Bunt“-Veranstaltung auf seiner Homepage mit stilisierten Blutspritzern versehen. Wie soll man das anders deuten, als eine Drohung? Der NPD-Funktionär Jens Pühse begann seine Neonazi-Karriere in Freising, war beteiligt an nächtlichem Telephon-Terror, wurde verurteilt wegen illegalem Waffenbesitz. Udo Voigt zeichnete als NPD-Spitzenkandidat in Berlin verantwortlich für ein Kreuzwort-Rätsel mit dem Lösungswort „Adolf“ und für deren Wahlkampf-Slogan „Wir geben Gas.“
… Wer glaubt, die NPD sei eine ganz normale Partei, ein Mitbewerber um die Wählergunst wie andere Parteien auch, der sei daran erinnert, was Joseph Goebbels 1928 ausführte: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. … Wenn die Demokratie so dumm ist, uns dafür Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir kommen als Feinde. Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ Deshalb gibt es keine Alternative zum Verbot der NPD und zur Auflösung aller Nazi-Organisationen. Aus den Köpfen ist die Nazi-Ideologie damit natürlich noch nicht verschwunden, aber es kann nicht sein, dass die Todfeinde der Demokratie aus Steuergeldern auch noch finanziert werden. NPD-Verbot jetzt!
Ich schließe mit den Worten des 2006 verstorbenen Widerstandskämpfers Peter Gingold: „Zuviel an Not und Tod, an KZ-Qualen, an Verwüstung und Vernichtung, an millionenfachen Mord hat der Faschismus gebracht, sodass es nichts Wichtigeres geben kann, als Aufstehen gegen jede Erscheinung von Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Neofaschismus, Militarismus.““