„Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abschaffen“
2. Februar 2013
„Fünf NSU-Morde in Bayern – und alles bleibt wie es ist?“ fragten die Nordbayerischen Bündnisse in ihrer Einladung zur Tagung am 2. Februar 2013 in Nürnberg, der ca. 300 Interessierte gefolgt waren. Günter Pierdzig, Koordinator der Nordbayerischen Bündnisse und Mitglied des Landesvorstands der VVN-BdA Bayern stellte eingangs fest, der „NSU-Skandal“ sei ein „Geheimdienst-Skandal“ und zwar der größte in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Referenten und Teilnehmer der Veranstaltung verlangten, aus dem Versagen der Inlandsgeheimdienste („Verfassungsschutz“) bei der Verhinderung der NSU-Verbrechen und deren Aufklärung Konsequenzen zu ziehen. In einer Resolution forderten die Tagungs-Teilnehmer: „Auflösung des Verfassungsschutzes in seiner jetzigen Form.“ Auch vom Podium wurde diese Position vertreten, so von Helga Schmitt-Bussinger (SPD, MdL Bayern), die die Stärkung zivilgesellschaftlicher Bündnisse verlangte, denn „das sind die eigentlichen Verfassungsschützer.“ Martina Renner (MdL DIE LINKE Thüringen) verwies auf den Gesetzentwurf ihrer Fraktion, das Landesamt für Verfassungsschutz durch ein „Demokratiezentrum“, das nicht geheimdienstlich arbeiten, sondern über neonazistische Gefahren aufklären und mit antifaschistischen Initiativen zusammenarbeiten soll, zu ersetzen.
Das erste Podium des Tages widmete sich der Opferperspektive. Die Rechtsanwälte Edith Lunnebach und Yavuz Narin vertreten Opfer der NSU bzw. deren Angehörige im bevorstehenden Prozess gegen Beate Tschäpe und weitere NSU-Terroristen. „Meine Mandanten durften nicht Opfer sein“, so Narin, der die Ermittlungspraxis, die beharrlich davon ausging, die Opfer seien in „Ausländerkriminalität“ verstrickt, kritisierte. Opfer seien zu Tätern gestempelt worden. Robert Andreasch, A.I.D.A., analysierte Mängel der Anklageschrift. Beispielsweise werde die ermordete Polizistin Kiesewetter als „Zufallsopfer“ bezeichnet, obwohl die Täter zum Mord extra von Sachsen nach Baden-Württemberg angereist seien.
Das zweite Podium versuchte dann in drei Teilen eine kritische Zwischenbilanz der Arbeit des bayerischen Untersuchungsausschusses. Zunächst hatten die Ausschussmitglieder Schmitt-Bussinger und Susanna Tausendfreund, (MdL, Grüne) das Wort. Sie beklagten, dass die Aufklärungsarbeit durch zahlreiche geschwärzte Akten, Zeugen mit beschränkter Aussagegenehmigung und „Erinnerungslücken“ führender Behördenmitarbeiter massiv erschwert würden. „Da tun sich Abgründe auf“, kommentierte die Grünen-Abgeordnete auch die Tätigkeit von V-Leuten in der Neonaziszene. Sie verwies darauf, dass es ein V-Mann war, der das „Thule-Netz“ aufbaute, Heß-Gedenkmärsche anmeldete – und auf der Telefonliste des NSU-Mörders Mundlos stand. Die NSU sei „von mindestens zehn V-Leuten umzingelt“ gewesen.
Im zweiten Teil des Podiums spiegelte dann Birgit Mair, Beobachterin der Nordbayerischen Bündnisse beim bayerischen Untersuchungsausschuss, die Ausschussarbeit aus Sicht der kritischen Öffentlichkeit. Sie musste von „völliger Ahnungslosigkeit“ führender Verfassungsschutzmitarbeiter in Bezug auf neonazistische Strategie berichten. Nicht einmal das Terror-Konzept des „führerlosen Widerstands („Combat 18“) sei dort bekannt gewesen.
Es folgte der Vergleich mit den Untersuchungssausschüssen im Bundestag, Thüringen und Sachsen, die durch Dr. Gerd Miegel (Mitarbeiter der Bundestagsfraktion DIE LINKE), Martina Renner und Kerstin Köditz (MdL DIE LINKE Sachsen) vertreten waren. Neben einigen Unterschieden zu Bayern, so dem weniger restriktiven Umgang mit Akteneinsicht, überwogen die Gemeinsamkeiten. Auch hier ein unentwirrbares Geflecht von V-Leuten und NSU. Martina Renner fragte: „Wieviel Staat steckt im NSU?“.
Die Schlussresolution der Tagung forderte neben der Auflösung des Verfassungsschutzes in der jetzigen Form die „sofortige Beendigung der staatlichen Unterstützung der neonazistischen Szene durch das V-Mann-Wesen“ die „sofortige Beendigung der Kriminalisierung, Bespitzelung und Diffamierung der antifaschistischen Initiativen“ sowie die Öffnung der Behördenarchive zur Aufdeckung des „staatlichen NSU-Skandals.“