„Ich habe bis zuletzt gekämpft …“

19. August 2022

Zum 70. Todestag von Philipp Auerbach, Streiter für die Verfolgten des Naziregimes in Bayern

Die Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft war für den Präsidenten des Landesentschädigungsamtes Bayern zu viel. Am 16. August 1952 nahm sich Philipp Auerbach in einer Münchner Klinik im Alter von 46 Jahren das Leben. In seinem Abschiedsbrief schrieb er:

„Nicht aus Feigheit, nicht aus einem Schuldbekenntnis heraus handle ich, sondern weil ein Glaube an das Recht für mich nicht mehr besteht und ich meinen Freunden und meiner Familie nicht weiter zur Last fallen will. Ich bin unschuldig verurteilt […] Ich habe mich niemals persönlich bereichert und kann dieses entehrende Urteil nicht weiter ertragen. Ich habe bis zuletzt gekämpft, es war umsonst. […]“

Was war geschehen? Nach monatelanger Ermittlung wurde Philipp Auerbach im März 1951 u.a. wegen Verdacht auf Amtsmissbrauch, Veruntreuung von Entschädigungsgeldern und Dokumentenfälschung verhaftet und angeklagt. Im Prozess konnte der zentrale Vorwurf, Entschädigungsgelder veruntreut zu haben, nicht aufrechterhalten werden, aber Auerbach wurde wegen missbräuchlicher Führung des Doktortitels, falscher eidesstattlicher Erklärung und einiger Bestechungsfälle verurteilt. Damit sah der Naziverfolgte Auerbach, Gründungsmitglied der bayerischen VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) und erster Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, sich und sein Lebenswerk, den Naziopfern Gerechtigkeit zukommen zu lassen, zerstört.

Philipp Auerbach wurde am 8.12.1906 in einem Hamburger jüdischen Familie geboren und absolvierte eine kaufmännische Lehre im väterlichen chemischen Unternehmen. Als engagiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde und der Deutschen Demokratischen Partei musste er nach der Machtübernahme der Nazis mit seiner Familie nach Belgien emigrieren. Nach dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit durch Nazideutschland wurde er 1940 aus Belgien nach Frankreich abgeschoben; Frau und Tochter konnten noch in die USA emigrieren.

Auerbach wurde jedoch von der Gestapo verhaftet und bis zum Kriegsende in die Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz verschleppt. Nach der Befreiung trat er in die SPD ein und war zunächst kurze Zeit beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf tätig. Im Oktober 1946 übersiedelte Auerbach nach München und wurde vom Ministerpräsidenten Hoegner mit der Stelle des neu geschaffenen

bayerischen „Staatskommissars für die Opfer des Faschismus“ betraut.

Philipp Auerbach auf der Landeskonferenz der VVN in München 1947 (SZ-Photo)

Zusammen mit seinem Stellvertreter und Verantwortlichem für die politisch Verfolgten, dem Kommunisten Otto Aster, war Auerbach nun unermüdlich tätig, um das große Leid der vielen überlebenden Naziopfer durch Vorschusszahlungen, Vermittlung von Wohnungen, Möbeln oder Kuraufenthalten zu lindern. Er kümmerte sich um die Pflege von KZ-Friedhöfen und die Errichtung von Gedenksteinen, formulierte mit an Entschädigungsgesetzen, deckte neuen Antisemitismus und Nazitäter auf und kritisierte scharf die unzureichende „Entnazifizierung“ und die allgemeine Missachtung der Nazigegner. Und „daneben“ war er Mitbegründer der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ in Bayern und München, baute die Israelitische Kultusgemeinden in Bayern wieder mit auf, dessen erster Präsident er wurde. Dazu kamen Reden und Vorträge und Gespräche mit allen politischen Verantwortlichen.

Diese Tatkräftigkeit war gepaart mit großer Eigenmächtigkeit, Unerbittlichkeit und – so das Urteil mancher Zeitgenossen – auch Geltungsdrang. Es war nicht leicht für Auerbach, einerseits schnell und unbürokratisch die Interessen der Naziverfolgten zu vertreten, andererseits Chef einer staatlichen Behörde zu sein, die der Bürokratie und eher restriktiven politischen und gesellschaftlichen Ansprüchen gehorchen sollte. Denn Politik und Gesellschaft zeigten schon bald kaum mehr Interesse am Elend der überlebenden NS-Verfolgten.

So wurde Auerbach zu einer prägenden, aber auch besonders umstrittenen Person im Gesamtkomplex von „Wiedergutmachung“ und Entnazifizierung im hochbrisanten gesellschaftlichen Klima der Nachkriegsjahre, das vom „Vergessen-Wollen“ und auch vom Antisemitismus bestimmt war. Ansprüche der Verfolgten auf Anerkennung und politische Mitwirkung und deren massive Kritik an der Eingliederung alter Nazis störten da nur. Kursierende Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten im Landesentschädigungsamt, dessen Präsident Auerbach nach Auflösung des Staatskommissariats war, wurde natürlich von Gegnern begierig aufgegriffen und oftmals mit dem „Juden“ Auerbach in Verbindung gebracht.

Hinzu kamen harte Auseinandersetzungen innerhalb der führenden Partei in Bayern, der CSU, deren Flügelkämpfe auch auf Kosten von Auerbach ausgetragen wurden. Aber auch die Verfolgten selbst standen nicht immer eindeutig zu Auerbach. Das galt sowohl für Organisationen verfolgter Juden wie auch für die VVN, die seit Auerbachs Austritt aus der VVN Ende 1949 die Unterstützung für ihn versagte.

Zu erwähnen ist auch die NS-Vergangenheit der Mehrzahl der fünf Richter des Landgerichts München I, darunter der Vorsitzende Josef Mulzer. Auch wenn das Gericht keine persönliche Bereicherung Auerbachs feststellte, so wirkte das Urteil letztlich doch für weite Teile der Gesellschaft als Bestätigung ihrer Ablehnung umfassender Entschädigung für Naziverfolgte und gab altem und neuem Antisemitismus Auftrieb. In die gleiche Richtung wirkten schon vorher die Diffamierungen und Anschuldigungen gegen jüdische und teilweise kommunistische NS-Verfolgte wie Marcel Frenkel in Nordrhein-Westfalen, Alphonse Kahn in Rheinland-Pfalz oder Curt Epstein in Hessen, die als Beauftragte für Wiedergutmachung tätig waren und schließlich abberufen wurden.

Ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags, der nach dem Tod Auerbachs gebildet wurde und bald zum Rücktritt des damaligen Justizministers führte, rehabilitierte Auerbach vollständig, änderte aber nichts am allgemeinen Beschweigen der Nazivergangenheit und weitgehender Ausgrenzung der Überlebenden jener 1950er Jahre.

Um die Erinnerung auch in München zu fördern, hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen die Benennung einer Straße nach ihrem ehemaligen Gründungsmitglied Philipp Auerbach beantragt.

(Friedbert Mühldorfer, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen / Kreis München, 8-2022)